Es ist der Höhepunkt des Auftritts: In schwindelerregender Höhe singt die Opernsängerin ihren Part. Doch die bewegliche Bühne, mit der sie nach oben fährt, kippt immer weiter – bis sich die Darstellerin nicht mehr halten kann und fünf Meter in die Tiefe stürzt. Vor den Augen der entsetzten Zuschauer. Und das alles nur, weil die Steuerungssoftware eines IT-Experten versagt hatte … Es ist ein tragischer Personenschaden, wie er mir in meiner Praxis als Versicherungsmakler auch schon begegnet ist.
„Aus der Praxis inspiriert“: Unter diesem Motto stelle ich seit einigen Wochen echte Schadenfälle vor. Im siebten (und vorerst letzten) Teil schildere ich, wie es zu dem unglücklichen Unfall kommen konnte – und warum es in den Bedingungen der IT Versicherung keine Stolperfallen wie „Experimentier- und Erprobungsklauseln“ geben sollte.
IT-Experte programmiert Steuerungssoftware
Der Unfall und seine ganze Geschichte: Eine Firma für Bühnentechnik war von einem österreichischen Opernhaus damit beauftragt worden, eine Kippbühne zu bauen. Dazu gehörte auch eine Steuerungssoftware, weshalb sich die Firma einen externen IT-Experten ins Boot holte.
Seine Aufgabe war es die speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) so zu gestalten, dass die Bühne gehoben, gesenkt, gekippt und gedreht werden kann.
Fehler in Steuerungssoftware: Opernaktrice stürzt fünf Meter tief
Es passierte mitten im Auftritt, als die Operndarstellerin am Ende ihrer Passage in eine Kippposition gefahren werden sollte, um von der schrägen Bühne zu rutschen. Die Steuerungssoftware versagte und die Bühne kippte auch noch weiter, als der 45-Grad-Winkle längst überschritten war. Vor den Augen aller Zuschauer fiel die Sängerin ca. fünf Meter in die Tiefe.
Bei diesem Sturz zog sie sich mehrere Knochenbrüche und Bänderrisse zu – musste sogar operiert werden. Ein Desaster für die Künstlerin, denn nun fiel sie für einige Monate aus und musste bereits gebuchte Engagements absagen.
Fahrlässige Körperverletzung: IT-Experte soll 20.000,00 Euro zahlen
Der Verantwortliche für die Fehlfunktion der Steuerungssoftware war schnell gefunden: der freiberufliche IT-Experte. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren wegen Körperverletzung eingeleitet. Zudem meldete die Opernsängerin zivilrechtliche Ansprüche an.
Insgesamt summierten sich die Kosten für den Personenschaden auf rund 20.000 Euro: 14.000 Euro Schadebersatz an die Sängerin (Heil- und Behandlungskosten, Schmerzensgeld, Verdienstausfall) sowie ca. 5.500 Euro Anwalts- und Verfahrenskosten.
Übrigens: Mit diesen Gesamtkosten fiel der Personenschaden noch relativ glimpflich aus – so makaber das klingt. Hätte die Sängerin ihren Beruf an den Nagel hängen müssen (Berufsunfähigkeit), wären Schadenersatz und Schmerzensgeld deutlich höher ausgefallen. Zudem verzichteten Opernhaus und Bühnenfirma auf weitere Schadebersatzforderungen.
Trotzdem: Ein Schaden von 20.000,00 Euro ist eine Menge Geld – und der IT-Experte war froh, dass sein IT Versicherer die Anwalts- und Verfahrenskosten sowie den Schadenersatz übernahm. Das ist allerdings nicht selbstverständlich.
“Erprobungsklausel“ gefährdet Versicherungsschutz
Eines der im Zusammenhang mit dem Strafverfahren erstellten Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der IT-Experte wichtige Sicherheitsstandards nicht durchgeführt hatte. So hätten Sicherheitsschleifen in der Software gefehlt und es wären keine angemessenen Praxistests sowie Einweisungen der Bühnentechniker durchgeführt worden.
Je nachdem, welche Bedingungen der IT Versicherung zu Grunde liegen, kann solch ein Gutachten fatale Auswirkungen auf den Versicherungsschutz haben. Denn viele IT Versicherer haben in ihren Bedingungen sogenannte „Erprobungsklauseln“ vereinbart, die bestimmte Schäden vom Versicherungsschutz ausschließen. Zur Veranschaulichung hier drei Beispiele:
- „Nicht versichert sind… Ansprüche, die daraus resultieren, dass Produkte und Leistungen, deren Verwendung oder Wirkung im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck nicht ausreichend – z.B. nicht dem Stand der Technik gemäß oder bei Software ohne übliche und angemessene Programmtests oder sonstiger Weise – erprobt waren.“
- „Nicht versichert sind… Ansprüche aus Sach- und Vermögensschäden durch Erzeugnisse, deren Verwendung oder Wirkung im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck nicht nach dem Stand der Technik oder in sonstiger Weise erprobt waren.“
- „…ausgeschlossen sind Schäden, die durch Mehraufwand hätten vermieden werden können.“
Mit solchen Formulierungen halten sich Versicherer ein Hintertürchen offen, im Ernstfall den Versicherungsschutz erst einmal zu versagen.
Formulierungen wie „angemessene Programmiertestes“ oder „nach dem Stand der Technik“ sind in der Praxis gefährlich – denn es gibt im IT-Bereich wenig klare Normen, wie etwa im Maschinenbau. In einem von Innovationen und rasanten Entwicklungen geprägten Umfeld lässt sich schwer nachvollziehen, ab wann Tests ausreichend oder angemessen sind und was dem Stand der Technik entspricht.
Allgemein gilt: In der IT Versicherung sollten Vermögensschäden als auch Sach- und Personenschäden mit einer ausreichend hohen Summe abgedeckt sein. Gerade Personenschäden bergen ein hohes finanzielles Risiko (Anwalts- und Prozesskosten sowie Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen). Und wenn die geschädigte Person nicht mehr für sich selbst sorgen kann, kommen zu diesen Kosten noch lebenslange Rentenzahlungen hinzu.
Weiterführende Informationen
- Datenverlust beim Server-Update: Warum die IT-Berufshaftpflicht „echte“ Vermögensschäden absichern muss – Teil 1
- EDV-Fehlberatung mit teuren Konsequenzen: Warum die IT-Betriebshaftpflicht Folgeschäden abdecken muss – Teil 2
- SEM-Keyword verletzt Markenrechte: Warum die IT-Haftpflicht „grobe Fahrlässigkeit“ nicht ausschließen sollte – Teil 3
- Kleiner Programmierfehler, existenzbedrohender Schaden: Warum der „Passive Rechtsschutz“ der IT-Haftpflicht schützt – Teil 4
- Unbrauchbare Mitgliedsausweise: Im Schadenfall kommt es auch auf die Vorumsatzdeckung an – Teil 5
- Putzaktion mit teuren Folgen: Warum die IT-Versicherung auch Sachschäden abdecken sollte – Teil 6