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Ralph Günther
exali-Gründer | Versicherungsexperte
Die Geschichte eines (vorläufigen) Desasters

Twitter und Elon Musk: Ein Lehrstück über schlechtes Management

Massenentlassungen, Fake-Accounts zu bekannten Marken, Hassrede, Hetze und die Rückkehr von Donald Trump: Das ist nur eine Auswahl der News, die seit der Übernahme des Micro-Blogging-Dienstes Twitter durch Tech-Milliardär Elon Musk in den Medien kursieren. Als Folge davon wandern Nutzer:innen nun zu anderen Plattformen ab, Unternehmen stoppen Werbeanzeigen und mittlerweile werden auch Gerichte aktiv. Die Frage, die dabei immer wieder im Raum steht: Hat Twitter mit Musk an der Spitze überhaupt noch eine Zukunft?

Anfang 2022 gehörte Twitter zu den 20 weltweit größten sozialen Netzwerken – doch mit Elon Musk als neuen Inhaber ist die Zukunft der Plattform aktuell ungewiss.
Anfang 2022 gehörte Twitter zu den 20 weltweit größten sozialen Netzwerken – doch mit Elon Musk als neuen Inhaber ist die Zukunft der Plattform aktuell ungewiss.

Ich gebe zu: Privat habe ich Twitter nie genutzt, allerdings habe ich bereits 2009 einen Account für mein Unternehmen exali erstellt. Was mich dabei an dieser Plattform faszinierte, war die Tatsache, dass sie durch ihre Zeichenbegrenzung und den Fokus auf Text immer etwas Anderes und Besonderes war – gerade im Vergleich zur damaligen Größe Facebook oder dem gerade scheidenden MySpace. Diese Besonderheit hat sich Twitter auch über die Jahre bewahrt – trotz Erhöhung des Zeichenlimits und vielen neuen Funktionen. Twitter war immer deutlich politischer als andere Netzwerke und stets die Heimat von Politiker:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen aller Lager – in den USA noch mehr als in Deutschland.

Twitter und Elon Musk: Ein Drama in mehreren Akten

Nun gehört Twitter seit Ende Oktober 2022 also Elon Musk und seitdem hat sich einiges verändert auf der Plattform – leider nicht zum Besseren. Die Geschichte nahm im April 2022 ihren Anfang, als bekannt wurde, dass der reichste Mann der Welt Hauptaktionär von Twitter ist. Kurz danach folgte auch das Angebot von Musk, die Plattform für 44 Milliarden US-Dollar zu kaufen. Die anschließenden Verkaufsgespräche nahmen dann aber im Juli 2022 ein abruptes Ende, als Musk Twitter vorwarf, „falsche und irreführende“ Angaben gemacht zu haben. Doch das Unternehmen ging zum Gegenangriff über und leitete rechtliche Schritte ein, woraufhin Musk dann Anfang Oktober 2022 doch einlenkte und dem Kauf zu den ursprünglichen Konditionen zustimmte, sofern der Prozess abgesagt wird.

Seit 28. Oktober 2022 ist Elon Musk nun „Chief Twit“ und was seitdem auf und mit der Plattform passiert, ist…nun ja, spannend. Ich als Gründer und Unternehmer kann ehrlich gesagt über die Entscheidungen, die Musk bisher in Bezug auf Twitter getroffen hat nur den Kopf schütteln. Aber: Ein schlechtes Beispiel ist gleichzeitig auch immer ein gutes Beispiel dafür, wie du es eben NICHT machen solltest. Und hier deckt das Musk-Twitter-Drama die komplette Bandbreite ab: Vom Umgang mit Mitarbeiter:innen, Nutzer:innen und Werbetreibenden bis hin zur generellen Kommunikation ist wirklich alles dabei. Fangen wir mal mit dem an, was Twitter am meisten schadet: Die ausbleibenden Werbeeinnahmen.

Werbepartner:innen und Elon Musk: Ausgezwitschert?

Liegt Twitter wirklich im Sterben? Diese Frage steht seit der Übernahme durch Elon Musk immer wieder im Raum. Eine eindeutige Antwort gibt es derzeit darauf zwar nicht, allerdings ist bekannt, dass einige Unternehmen, darunter die Volkswagen Group (mit allen Marken), General Motors, SAP oder United Airlines ihre Werbeanzeigen auf Twitter vorerst eingestellt haben. Laut einem Artikel in der Wirtschaftswoche warnt aktuell sogar die weltweit größte Werbeagentur Group M ihre Kundinnen und Kunden davor, Werbung auf Twitter zu schalten.

Einige Marken – darunter Apple oder in Deutschland Audi, gingen sogar noch einen Schritt weiter und stellten gar sämtliche Aktivitäten auf Twitter ein. Der offizielle Apple Twitter-Account etwa hat derzeit 0 Tweets, auf dem Account von Audi wurde seit 02. November 2022 nichts mehr gepostet. Der Wirtschaftswoche zufolge gab das Unternehmen in einem Statement bekannt, man habe „Accounts auf Mastodon eingerichtet, um die vielversprechende Plattform auszuprobieren“.

Musk’s Reaktion auf die ausbleibenden Werbeanzeigen war nicht etwa das Gespräch zu suchen oder sich mit den Hintergründen auseinanderzusetzen, sondern ein verärgerter Tweet. Darin schrieb er über einen „massiven Umsatzrückgang“, für den Aktivistengruppen verantwortlich seien, die „Druck auf Werbetreibende ausüben, obwohl sich an der Inhaltsmoderation nichts geändert hat“. Als nächstes drohte er damit, die betreffenden Marken und Unternehmen öffentlich auf Twitter anzuprangern – eine erneute Eskalation also.

Elon Musk versus Apple

Ob der Streit, den Musk dann Ende November mit dem Apple-Konzern anzettelte, Teil dieser Strategie des Anprangerns war? Ich weiß es nicht. Fakt ist aber: Am 28. November 2022 twitterte Musk: „Apple hat größtenteils aufgehört, Werbung auf Twittter zu schalten. Hassen sie die Meinungsfreiheit in Amerika?“. Noch am selben Tag folgte ein weiterer Tweet, in dem Musk behauptete, Apple würde damit drohen, die Twitter-App aus dem Apple-Store zu schmeißen, zudem postete er einige bizarre Videos und Artikel darüber, wie Apple die Meinungsfreiheit beschneiden würde.

Das vorläufige Ende des Dramas kam dann am 01. Dezember 2022, ebenfalls in einem Tweet. Hier schrieb Musk, es habe ein Gespräch mit dem Apple-CEO Tim Cook gegeben und das „Missverständnis“ sei nun geklärt. Dennoch halte ich eine derartige öffentliche Konfrontation nicht unbedingt für das beste Vorgehen – zumal Musk kein Wort über die ausbleibende Werbung verlor. Und Twitter lebt von Werbeanzeigen: 2021 nahm das Unternehmen 4,5 Milliarden US-Dollar allein durch Werbung ein – der Gesamtumsatz betrug 5 Milliarden US-Dollar! Eigentlich kann sich Musk es also nicht leisten, seine Werbetreibenden zu vergraulen – und noch weniger die Nutzer:innen. Doch auch hier sieht die Zukunft aktuell nicht unbedingt rosig aus.

Hass und Hetze auf dem Vormarsch

Eine der ersten Aktionen von Musk nach der Übernahme von Twitter war die massenhafte Entlassung der Mitarbeiter:innen – darunter auch zahlreiche Angestellte, die für die Inhaltsmoderation verantwortlich waren. Zu den Aufgaben der Content-Moderator:innen gehörte unter anderem das Aufspüren und Löschen von Hass-Kommentaren oder falschen beziehungsweise gefährlichen Nachrichten wie antisemitischen Verschwörungsmythen oder unwahren  Behauptungen zu den Wahlen in den USA oder Brasilien. Laut der einer Meldung auf Twitter selbst werden zudem seit 23. November 2022 keine Falschmeldungen zu COVID-19 mehr gelöscht oder mit einem Faktencheck versehen.

Der ehemalige Leiter des Bereichs „Vertrauen und Sicherheit“ bei Twitter, Yoel Roth, sagte kürzlich in einem Interview, dass das Unternehmen gar nicht mehr genug Personal für die Sicherheitsarbeit habe. Zur fehlenden Content-Moderation kommt außerdem noch die Tatsache, dass Elon Musk zahlreiche zuvor gesperrte Accounts wieder entsperrt hat. Die meisten dieser Konten waren zuvor wegen rassistischen, antisemitischen oder hetzerischen Inhalten (insbesondere gegen Transgender), sowie der Verbreitung von Verschwörungsmythen gesperrt oder eingeschränkt worden. Zu den bekanntesten dieser wieder aktiven Accounts gehören die des kontroversen Autors Jordan Peterson oder des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.

Verifizierung auch für Fake Accounts

Ein weiteres Problem war Musks Entscheidung, Verifikationen gegen Geld anzubieten. Bisher konnten sich Unternehmen, Politiker:innen, Journalist:innen, Verbände, Behörden oder Prominente wie Schauspieler:innen oder Autor:innen ihre Accounts auf Twitter über einen Antrag verifizieren lassen. Dazu mussten sie mit dem Antrag auch Nachweise – beispielsweise eine Kopie des Ausweises bei Personen – mitliefern. Der Verifizierungsprozess dauerte oft mehrere Wochen und wenn die Nachweise akzeptiert wurden, erhielt das entsprechende Profil ein offizielles blaues Verifizierungshäkchen. Musk hielt diesen Prozess für „elitär“ und wollte das blaue Häkchen jeder:m zur Verfügung stellen – für nur acht US-Dollar pro Monat.

Das Ergebnis: Am gleichen Tag an dem dieses Modell live ging, entstanden zahlreiche Fake-Accounts. So gab es plötzlich einen scheinbar offiziellen Account von Nintendo America, der ein Bild von Mario postete, auf dem die Videospiel-Figur den Stinkefinger zeigt. Oder einen Twitter-Account von Ex-Präsident George W. Bush, der schrieb: „Ich vermisse es Irakis zu töten“. Beides waren natürlich Fake-Accounts, sie machten aber deutlich, warum das bisherige Verifizierungssystem nicht elitär, sondern sinnvoll war. Musk scheint dennoch an der Idee eines Abo-Modells festhalten und will Anfang Dezember – zunächst nur über iOS – ein Sicherheitszertifikat einführen.

Wie Marketing nicht funktioniert

Massenentlassungen, Neuerungen die nicht funktionieren, keine Einschränkung von Hassrede oder Falschnachrichten: All diese Meldungen sind absolutes Gift für den guten Ruf eines Unternehmens. Leider scheint es niemand im Umfeld von Musk (mehr) zu geben, der ihm Tipps in Bezug auf Marketing und Unternehmenskommunikation geben könnte. Stattdessen redet er permanent über eine angeblich eingeschränkte Meinungsfreiheit auf Twitter, droht den Unternehmen, die ihre Werbeanzeigen vorerst eingestellt haben, mit Konsequenzen und postet dazwischen seltsam wirre Inhalte, etwa ein Bild von seinem Nachttisch auf dem neben mehreren leeren Dosen auch eine Waffe zu sehen ist.

Tipp: Zum Thema Meinungsfreiheit und wie es sich aus meiner Sicht damit auf sozialen Netzwerken verhält, habe ich bereits in diesem Artikel geschrieben: Meinungsfreiheit in sozialen Medien.

Generell verhält sich der reichste Mann der Welt aktuell wie ein trotziger Zehnjähriger, der gerade festgestellt hat, dass andere Kinder hauen Konsequenzen hat. Etwa, dass diese zurückschlagen – in Form von ausbleibenden Werbeanzeigen oder einem kompletten Verlassen der Plattform – oder ihre Eltern zur Hilfe holen. Die Eltern sind in diesem Fall einmal EU-Regelungen und Verordnungen und zum anderen rechtlicher Beistand, auf den einige Twitter-Ex-Mitarbeiter:innen mittlerweile zurückgreifen.

EU-Abgeordnete drohen Musk mit hohen Strafen

Eine dieser EU-Verordnungen ist der Digital Services Act, kurz DSA. Dieser legt fest, dass soziale Netzwerke wie Twitter illegale Inhalte konsequent löschen und auch genug Mitarbeitende für diese zentrale Rolle haben müssen. Außerdem wird von Tech-Unternehmen verlangt, dass sie Auskunft darüber geben, wie und warum sie Inhalte sortieren – also etwa auch darüber, wie Fake News oder Hassrede unterbunden werden. Ein Artikel der Tagesschau zitiert dazu den SPD-Europaabgeordneten Tiemo Wölken: „Es gibt im DSA mehrere Durchsetzungsmechanismen. Sollte Musk sich querstellen, drohen empfindliche Bußgelder von bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes bei Twitter, und bei völliger Verweigerung könnte Twitter sogar geblockt werden.“

Ehemalige Mitarbeiter:innen klagen gegen Kündigungen

In Deutschland haben ehemalige Mitarbeitende, die von der Kündigungswelle am 12. November 2022 betroffen waren, mittlerweile mithilfe von Verdi eine Kündigungsschutzklage gegen Twitter erhoben. Eine solche Klage hat entweder ein Güteverfahren, das mit einem Vergleich endet oder eine Gerichtsverhandlung bei der über die Rechtmäßigkeit der Kündigung entschieden wird, zur Folge. Auch in den USA haben die ehemaligen Angestellten eine Sammelklage eingereicht, denn Twitter habe sich nicht an die erforderliche 60-tägige Vorankündigungsfrist für Kündigungen gehalten. Dies verstoße gegen Bundes- und kalifornisches Recht.

Was lässt sich aus dem Twitter-Debakel lernen?

Die wohl einfachste Antwort darauf ist: Sei nicht wie Elon Musk. Was alleine schon deshalb interessant ist, weil der Milliardär gerne als großes Vorbild für Gründer:innen und Unternehmer:innen gleichermaßen hergenommen wird. Fairerweise muss hier auch gesagt werden, dass Musk als Person durchaus kontrovers betrachtet wird: Für die einen war er stets ein Genie, für andere das Symbol für alles, was im Kapitalismus falsch läuft. Doch egal wie du zum reichsten Mann der Welt stehst: Der Erfolg seiner Unternehmen – von PayPal über Tesla zu SpaceX – gab ihm bisher Recht. Twitter entwickelt sich dagegen gerade eher zu einer unternehmerischen Bauchlandung – auch wenn die zukünftige Entwicklung noch nicht absehbar ist.

Was Elon Musk aber mit seinem Ego-Trip recht gut zeigt ist, warum du Menschen um dich herum brauchst, die dir widersprechen. Warum deine Belegschaft nicht aus Ja-Sager:innen bestehen sollte, sondern aus Mitarbeiter:innen, die offen und ehrlich Ihre Meinung sagen dürfen, ohne gleich um ihren Arbeitsplatz fürchten zu müssen. Denn: gerade aus einem Widerspruch entsteht oft eine Diskussion, die ganz neue Ideen hervorbringen kann. Zudem gebe ich es zwar ungern zu, aber: In einigen Bereichen haben meine Mitarbeiter:innen schlicht mehr Expertise als ich – gerade wenn es um Social Media oder Online-Marketing geht.

Was lässt sich also aus der Übernahme von Twitter durch Elon Musk wirklich lernen? Dass gute Kommunikation wichtig ist, um Vertrauen in dein Unternehmen aufzubauen. Dass auch der reichste Mann der Welt sich nicht über jedes Gesetz hinwegsetzen kann. Dass zwischen einer Erfolgsgeschichte und einer drohenden Firmenpleite oft nur ein paar Wochen liegen können. Dass Hass und Hetze keine Meinung sind. Und: Dass aus dem Missgeschick von Anderen die Möglichkeit für neue Ideen – oder im Fall von Twitter, Plattformen, entstehen kann.

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