Ist die Meinungsfreiheit wirklich in Gefahr und muss ich wirklich jede Meinung billigen? Diese Frage spaltet seit Jahren die Gemüter innerhalb und außerhalb von sozialen Netzwerken und wurde unlängst durch Elon Musks‘ Vorhaben Twitter zu erwerben, nochmals befeuert. Da stellt sich mir die Frage: Wie viel Meinung verträgt dein Business oder deine beruflichen Kontakte, vor allem dann, wenn du mittlerweile sogar auf Netzwerken wie LinkedIn siehst, wie diese nicht nur Fake News diskutieren, sondern auch aktiv verbreiten?
Meinungsfreiheit. Kaum ein Wort wurde in den letzten beiden Jahren so oft missbräuchlich verwendet. Wir leben zweifelsohne gerade in schwierigen Zeiten – politisch ebenso wie gesellschaftlich – und viele Konflikte werden zusätzlich über soziale Netzwerke befeuert. Fake News, also falsche Fakten werden größtenteils über soziale Medien geteilt, wie eine Auswertung des bayerischen Landesmedienzentrums mebis zeigt. Sie sorgen dort für heftige Diskussionen und Streit, bis hin zum Begehen realer Straftaten wie Hate Speech (Hassrede) oder Doxing (das Veröffentlichen persönlicher Daten im Internet ohne Einwilligung der Betroffenen).
Ich persönlich nutze Social Media sehr wenig und wenn, dann bin ich eher „oldschool“ auf Facebook unterwegs oder auf Business-Netzwerken wie LinkedIn. Doch selbst dort bleibe ich von Posts über angebliche Impfschäden, die bevorstehende Islamisierung Deutschlands, allerlei Fake-News zum Ukraine-Krieg oder regelrechten Hasskampagnen gegen Aktivist:innen, Politiker:innen oder Journalist:innen, nicht verschont. Wenn ich so etwas lese, frage ich mich schon: Warum werden solche Diskussionen auf einem Business-Netzwerk geführt? Wann wird aus einer Meinung eine Beleidigung? Und wie gehe ich damit um, wenn ich Posts meiner Mitarbeiter:innen oder Business-Partner:innen lese, denen ich inhaltlich nicht nur widerspreche, sondern die ich auch als beleidigend wahrnehme?
Tipp: Vertragen sich politische Statements und Haltungen mit der eigenen Marke? Dieser Frage bin ich anlässlich des Ukraine-Krieges in diesem Artikel nachgegangen: Warum Marketing mit politischen Statements nicht immer funktioniert
Zunächst einmal: Jede:r hat das Recht auf eine eigene Meinung, ebenso wie sie/er diese Meinung auch frei äußern darf. Allerdings ist eine Beleidigung keine Meinung. In den letzten beiden Jahren gab es diesbezüglich bereits zwei richtungsweisende Urteile: So gewann die Aktivistin und Politikerin Luisa Neubauer im Dezember 2021 eine Klage gegen den Autor und Blogger Akif Pirinçci, der sie auf Facebook sexistisch beleidigt hatte. Das Landgericht Frankfurt wertete seine Kommentare auf einen Post des Politikers Eckhard Mackh als Verletzung des Persönlichkeitsrechts und verurteilte Pirinçci zur Zahlung von 6.000 Euro an Neubauer.
Renate Künast von Bündnis 90/Die Grünen gelang dann 2022 ein Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht. Auch hier ging es um sexistische Beleidigungen. So hatte die Politikerin 2019 Facebook auf Herausgabe von Nutzerdaten verklagt, nachdem sie auf dem Netzwerk teilweise massiven sexistischen Beleidigungen ausgesetzt war. Damals urteilte das Landgericht Berlin, die Politikerin müsse so etwas aushalten. Künast legte daraufhin eine Verfassungsbeschwerde ein und bekam Recht: Nun muss das Landgericht Berlin den Fall erneut aufrollen, denn laut dem Bundesverfassungsgericht entsprach das erste Urteil nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen.
Ich selbst vertrete ganz grundsätzlich die Meinung, dass Beleidigungen nichts in einer Diskussion verloren haben. Egal, um welches Thema es geht. Selbst dann nicht, wenn offensichtlich falsche Fakten geteilt werden oder du dich mit Anhänger:innen von Verschwörungsmythen konfrontiert siehst. Doch selbst fern ab davon gibt es genug politische und gesellschaftliche Themen, über die sich die Menschen in sozialen Netzwerken streiten können, wie: LGTBQ+, Ableismus, Rassismus, Sexismus, gendersensitiver Sprache und so weiter. Der CDU-Politiker Friedrich Merz etwa nutzte 2021 neben Twitter und Facebook auch LinkedIn, um seine Kampagne gegen „Gendersprache“ zu befeuern.
Tipp: Die CDU/CSU hatte übrigens 2021 einige eher schlechte Ideen, was Marketing-Kampagnen anbelangte. Einige davon habe ich in diesem Beitrag zusammengefasst: 3 Online-Marketing-Fehltritte der CDU und was du daraus lernen kannst
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir in einer politisch und gesellschaftlich sehr aufgeheizten Zeit leben. Alleine seit Beginn der Corona-Pandemie wurde hier einiges an die Oberfläche gespült. So befeuerte der Tod von George Floyd 2020 etwa nicht nur in den USA die Diskussionen über Rassismus und Polizeigewalt, sondern auch hierzulande. Weitere Themen, die vor allem in den letzten beiden Jahren immer mehr an Wichtigkeit gewannen, sind: Feminismus, Transgender, sowie der Umgang mit Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Der Satz: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, ist dabei mittlerweile schon fast zum Schlachtruf all jener geworden, die von Veränderungen wenig bis gar nichts halten.
Meinungsfreiheit (miss-)verstehen viele als Zustimmungspflicht. Doch nach meinem Verständnis ist Widerspruch ebenso Teil der freien Meinungsäußerung, wie auch das Ablehnen einer Aussage und Beleidigungen oder Diskriminierungen sind eben keine Meinungen. Verbale Gewalt hat ebenso negative Auswirkungen, wie physische – und es wird Zeit, das anzuerkennen.
Leider verstehen viele diese für mich logische Konsequenz als Beschneidung ihrer Meinungsfreiheit – und sie haben dafür auch bereits einen weiteren Begriff gefunden: Cancel Culture. Jemanden „canceln“ bedeutet grundsätzlich, einer Person oder Organisation die öffentliche Plattform zu entziehen, nachdem ihnen eine beleidigende, unanständige oder diskriminierende Aussage oder Handlung vorgeworfen wurde.
Seit durch die Bewegungen #MeToo oder Black Lives Matter immer häufiger auf Anschuldigungen auch Konsequenzen folgten – zum Beispiel die Verurteilung des Filmmoguls Harvey Weinstein – hat sich der Begriff „Cancel Culture“ etabliert. Vor allem die Trump-Regierung hat diesen ab 2016 immer wieder als Synonym für Zensur genutzt und als solche wird er vor allem in den letzten zwei Jahren meist verwendet.
So ist etwa eines der bekanntesten „Opfer“ von Cancel Culture die Autorin der „Harry Potter“-Romane, J.K. Rowling, die 2020 für ihre Aussagen zu Transgender heftig kritisiert wurde. Die Frage ist aber: Ist es wirklich Zensur, wenn jemand eine beleidigende oder diskriminierende Aussage trifft und Menschen das in der Konsequenz nicht mehr hören wollen?
In meinem Unternehmen arbeiten viele, teils grundverschiedene Menschen. So gibt es unter meinen Führungskräften beispielsweise einen absoluten Fahrrad-Fan, für den Radfahren kein reines Hobby mehr, sondern eine komplette Lebenseinstellung ist. Ich als Fan von Oldtimern und Motorradtouren habe recht schnell gemerkt, dass Autos kein besonders gutes Gesprächsthema für uns beide sind. Wir können zwar wertschätzend diskutieren, werden hier aber niemals einer Meinung sein und haben uns deshalb darauf geeinigt, dass wir uns nicht einig werden.
Von ein paar halb scherzhaften Seitenhieben abgesehen, gelingt uns das auch gut. Genau diese gegenseitige Wertschätzung und dieser Respekt geht aber online meist schnell verloren. Hier lese ich mittlerweile auch auf LinkedIn Diskussionen unter Posts, die vor gegenseitigen Beleidigungen nur so strotzen. Teilweise stammen diese Aussagen von Menschen, mit denen ich beruflich zu tun habe. Manchmal sind diese Äußerungen so konträr zu meinen eigenen Einstellungen, dass ich mir ernsthaft überlege, diese Kontakte nicht nur auf LinkedIn, sondern auch im beruflichen Alltag aus meinem Netzwerk zu entfernen.
Das mag manch einer:m intolerant erscheinen, aber dann muss ich mir auch die Frage stellen, ob manche Meinung wirklich tragbar ist. Gerade wenn es um Themen wie Rassismus oder die Diskriminierung von bestimmten Personengruppen geht. Das ist für mich Meinungsfreiheit.
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