Die Gemüter der Kommunikationsbranche kochen hoch. Ein neues Internetportal verspricht, gegen unfaire Pitches und unseriöse Ausschreibungen zu kämpfen. Wer schlechte Erfahrungen gemacht hat, kann das ausschreibende Unternehmen an den digitalen Pranger stellen. Man selbst bleibt anonym. Vergangene Woche war die Seite pitchblog.de bereits Thema in meinem Blog, was zu einer Vielzahl an Reaktionen geführt hat. Unter Anderem hat sich Marvin Schauer, Geschäftsführer der befreundeten „Agentur 22“, bei mir gemeldet und einen Fall aus der Praxis geschildert.
Die schwierige Situation der Kommunikationsbranche und wie beispielsweise der Konzern Deichmann durch einen fragwürdigen Pitch-Aufruf hunderttausende Euro gespart hat, ist diese Woche Thema in seinem Gastartikel auf meinem Blog.
Kurz vorweg: Vergangene Woche habe ich Euch bereits die Idee von pitchblog.de vorgestellt. Und wenn man liest, was mir Marvin Schauer von der „Agentur 22“ nach der Veröffentlichung zum Thema geschrieben hat, lässt sich nachvollziehen, weshalb das Portal ins Leben gerufen wurde:
„Es ist jetzt rund zwei Jahre her, dass die Schuhhandelskette Deichmann für große Aufregung in der Werbebranche gesorgt hat. Grund war, dass Deichmann 20 Agenturen dazu einlud, Ideen zum 100-jährigen Firmenjubiläum zu präsentieren.
Grundsätzlich, so könnte man meinen, ist die Idee ja nicht schlecht – zumindest auf Unternehmerseite. 20 Agenturen, die viele Ideen konzipieren und präsentieren. Bei so viel Output muss schließlich die richtige Idee dabei sein.
Wenn man nun aber rein analytisch an die Sache rangeht, dann stellt man schnell fest, welch volkswirtschaftliches Desaster ein solcher Pitch ist: 20 Agenturen á durchschnittlich 6 Personen die am Konzept arbeiten, entspricht gesamt 120 Kreative, die nicht nur viel Output erzeugen, sondern natürlich auch viele Ressourcen binden und letztlich immense Kosten verursachen.
120 Menschen, die Ideen für ein Unternehmen liefern, dass aufgrund seines Namens und seiner Marktstellung auf den ersten Blick gesehen einen tollen Etat darstellt. Aber das ist so nicht. Weder darf man nach dem schriftlichen Briefing genauere Fragen stellen, noch ist sonst irgendein Dialog vorgesehen gewesen. Und als Pitchhonorar gab es je Agentur 2.000Euro Präsentationshonorar. Die Siegeragentur erhält weitere 10.000Euro bei gleichzeitiger und vollständiger Abtretung aller Nutzungsrechte.
Fazit: 19 Agenturen arbeiten also je für 2.000Euro, eine Agentur für 12.000Euro. Zusammen macht das 50.000Euro Honorar, die Deichmann an 20 Agenturen auszahlt. 120 Menschen in diesen 20 Agenturen, die diese Ideen entwickeln, kosten hingegen bei durchschnittlich 500Euro Tagessatz pro Person und durchschnittlich 10 Tage Entwicklungszeit der Ideen jedoch gesamt 600.000Euro.
Wir sprechen also von einem volkswirtschaftlichen Schaden von 550.000Euro.
Nein, solche Praktiken sind weder seriös noch von Erfolg gekrönt – außer für den Auftraggeber selber. Doch letztlich hat auch der keinen Vorteil, wenn er sich bei mindestens 20 Ideen (vermutlich sind es mehr, da jede Agentur auch Alternativen aufzeigen möchte, um sicher zu gehen) für eine Idee entscheiden soll. Und das alles auf Basis eines schwammigen Briefings getreu dem Motto „shit in – shit out“.
Gerne machen wir Kommunikationsagenturen an Pitches mit, die seriös sind. Unser beschriebenes Beispiel entspricht dem leider nicht. Und realistisch gesehen sind Beispiele wie vorgenanntes öfters zu finden, als vernünftige Präsentationseinladungen im Wettbewerb auf Augenhöhe!
Quelle: Wir beziehen uns auf einen Artikel der W&V aus dem Jahr 2012. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit der angegebenen Daten können wir keine Gewähr übernehmen.“
Über den Autor:
Marvin Schauer ist, zusammen mit Jan Imhoff, Geschäftsführer der Agentur 22 in München. Der Diplom Kommunikationswirt konnte bei CNN Deutschland, München TV, der Münchener PR-Agentur Profil PR und der Werbeagentur Combera viel Erfahrung in der Kommunikationsbranche sammeln, bevor er 1999 Geschäftsführer der Werbeagentur Agentur 22 wurde.
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