Der Online-Handel aus Sicht eines Rechtsanwalts: Fast kein Bereich bietet so viele Stolperfallen für Unternehmer, wie der eCommerce. Die sich ständig ändernde Rechtslage und begrenzte zeitliche Kapazitäten sorgen dafür, dass sich vor allem Freiberufler schwer tun, den Überblick zu behalten. Alle vorgegebenen Regelungen rechtskonform umzusetzen, ist eine große Herausforderung – die häufig nur in Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt bewältigt werden kann.
Ich habe mir einen Fachmann geschnappt und ihn zu seinen Erfahrungen mit Rechtsverletzungen im eCommerce befragt. Herausgekommen ist ein zweiteiliges Interview, in dem Alexander F. Bräuer über die Risiken von Rechtsverstößen und die Scheu vor dem Gang zum Rechtsanwalt spricht.
Sie sind Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Welche sind Ihrer Erfahrung nach die teuersten und häufigsten Rechtsverletzungen?
Die häufigsten Rechtsverletzungen sind nach meiner Beobachtung in der fehlerhaften Umsetzung verbraucherrechtlicher Bestimmungen zu finden. Nehmen Sie die Widerrufsbelehrung als Beispiel. Fehlerhafte/veraltete Widerrufsbelehrungen werden nahezu von sämtlichen Gerichten als unzulässig und damit als wettbewerbsrechtlich abmahnbar bewertet. Ebenfalls sehr häufig abgemahnt werden leicht erkennbare Rechtsverletzungen, wie die fehlenden Pflichtinformationen im elektronischen Geschäftsverkehr, unzulässige Werbeaussagen, fehlende Grundpreise oder die Werbung mit Selbstverständlichkeiten.
Ich habe dabei insgesamt den Eindruck, dass es sich gerade bei den einfach zu erkennenden Belehrungsfehlern genau um diejenigen handelt, die am häufigsten abgemahnt werden. Einige Gerichte setzen für solche „Bagatellen“ aber Regelstreitwerte von 30.000,00 € fest, sodass wir zumindest im Hinblick auf die Kostenfolge nicht von Kleinigkeiten sprechen dürfen. Noch teurer werden können Rechtsverletzungen im Bereich des Markenrechts, Designrechts (das auch unter dem Begriff „Geschmacksmusterrecht“ bekannt ist) und des Urheberrechts. Im Markenrecht zum Beispiel hängt der Streitwert/Gegenstandswert u.a. von der Bekanntheit der Marke ab. Schon die Verletzung unbekannter und wenig genutzter Marken löst einen Streitwert von 50.000,00 € aus. Eine Grenze nach oben gibt es kaum.
In Fällen der Markenverletzung werden in der Regel aber auch Schadensersatzansprüche geltend gemacht und man benötigt selbst einen Anwalt, um nicht übervorteilt zu werden. So kommen ganz schnell Beträge im mittleren vierstelligen Bereich zusammen. Wird dann noch ein gerichtliches Verfahren geführt, werden die Kosten sehr schnell fünfstellig – zumindest für denjenigen, der unterliegt.
Aber auch im Urheberrecht kann es zu äußerst kostspieligen Rechtsverletzungen kommen. Dies geschieht oftmals im Zusammenhang mit dem sog. Fotoklau, also dem Einfügen oder Nutzen von fremden Fotos. Die Abmahnkosten werden in diesen Fällen zumeist noch den geringeren Kostenanteil darstellen. Gravierender können die sog. Lizenzschadensersatzforderungen sein. Die zur Berechnung dieses Schadensersatzanspruchs von den Gerichten herangezogene MFM-Tabelle sieht beispielsweise für die Nutzung eines Fotos für den Zeitraum von einem Monat einen Grundtarif von 100,00 € vor. Mit diversen Aufschlägen kann es für die Dauer von bloß einem Monat zu Kosten bis zu 300,00 €kommen. Hat man als Händler mehrere Bilder kopiert und/oder die fremden Fotos über einen langen Zeitraum genutzt, können die Schadensersatzforderungen im Urheberrecht existentiell werden.
Letztlich sind auch die passiven Kosten zu berücksichtigen. Also die finanziellen Nachteile, die entstehen, wenn Angebote beendet werden, der Onlineshop für eine bestimmte Zeit geschlossen oder fremde Hilfe für die Neugestaltung des Auftritts in Anspruch genommen werden muss.
Warum ist das Risiko eines Rechtsverstoßes gerade im Onlinehandel so groß?
Es treffen im Onlinehandel zumeist mehrere Faktoren zusammen. Das Risiko, sich bei dem Angebot von Waren und Dienstleistungen im Internet – natürlich zumeist unabsichtlich – rechtswidrig zu verhalten, liegt einerseits an der enormen Menge an Informations- und Belehrungspflichten, die den Händlern und Dienstleistern durch den nationalen sowie den europäischen Gesetzgeber auferlegt werden sowie der sich ständig ändernden Rechtslage. Andererseits kursieren schlicht falsche Informationen und Ratgeber öffentlich im Internet. Sie können entweder eine veraltete Rechtslage wiedergeben oder einen anderen Fall betreffen, was der Laie eventuell gar nicht bemerkt. Da Onlinehändler nur selten die zeitlichen Kapazitäten besitzen, um sich ständig über den aktuellen Stand der Rechtslage sowie neue oder geänderte Pflichten zu informieren, wird die Umsetzung rechtlicher Vorgaben eher stiefmütterlich behandelt. Auch hieraus entstehen Abmahnrisiken.
Letztlich führt auch die Sorge vor hohen Beratungskosten zu Risiken. Gerade im Onlinebereich, der leider in vielen Marktsegmenten von einer Preis-Dumping-Mentalität beherrscht wird, stellen sich Onlinehändler die Frage nach Kosten und Nutzen einer spezialisierten Beratung. Geringe Handelsspannen lassen oftmals keine Zusatzausgaben zu. Aber hier gilt zu berücksichtigen, dass sich die anfänglich eingesparten Kosten schnell vervielfältigen können, wenn es im Nachhinein zu Rechtsproblemen kommt. Dies gilt umso mehr, wenn für diese Fälle keine Rücklagen gebildet worden sind und die vorhandenen liquiden Mittel zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs benötigt werden.
Über den Interviewpartner Alexander F. Bräuer:
Alexander F. Bräuer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Er betreut Mandate auf den Gebieten des Wettbewerbs-, Marken-, Urheber- und Geschmacksmusterrechts/Designrechts. Ein Tätigkeitsschwerpunkt ist die rechtlich-präventive Betreuung von Online-Händlern und Internetdienstleistern, das sog. Internetrecht / eCommerce-Recht. Er ist Partner der Anwaltskanzlei Weiß & Partner in Esslingen am Neckar, www.ratgeberrecht.eu.
Weiterführende Informationen:
- Abmahnungen verhindern: Kooperation von Rechtsanwalt und Online-Händler – Interview mit Fachanwalt Alexander F. Bräuer (Teil2)
- Markenanmeldung im eCommerce: Was bringt der Schutz für eigene Produktbezeichnungen?
- „Datenschutzverstöße können bis zu 300.000 Euro kosten“: Interview mit den Rechtsexperten Tobias Haar und Christian Metzger
- Erfolgreich mit dem Webshop: E-Commerce-Leitfaden zeigt, wie`s geht – und zwar kostenlos!