Wer sich eine Bibliothek vorstellt, hat sehr wahrscheinlich große Räume mit hohen Regalen voller Bücher vor Augen. Dieses Bild könnte sich in Zukunft aber wandeln: Lese-Terminals mit Bildschirmen, auf denen Bibliotheksnutzer Bücher in digitalisierter Form konsultieren können, gehören teilweise bereits zur Ausstattung der Lesesäle und werden sicherlich bald verstärkt auftreten. Grund dafür ist ein Urteil des EuGH.
Ich lese inzwischen selbst recht häufig eBooks, habe aber auch gerne mal den Geruch eines frisch gedruckten Buches in der Nase. Deshalb habe ich mir mal genauer angesehen, was das Urteil für die Welt der Literatur bedeutet.
Ankunft der Bibliotheken im digitalen Zeitalter
Interessierten Lesern, Wissenschaftlern und Studierenden Zugriff auf verschriftlichtes Wissen zu ermöglichen, ist die erste und wichtigste Aufgabe von Bibliotheken. Da eBooks auf dem Vormarsch sind und digitale Leseangebote die gedruckten Versionen von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften langsam ablösen, ist es nur konsequent, dass auch die Bibliotheken nachziehen.
Genau mit dieser Idee im Hinterkopf hatte die Bibliothek der TU Darmstadt im Jahr 2009 ein Lehrbuch aus ihrem Bestand digitalisiert und den Lesern an Terminals im Lesesaal zur Verfügung gestellt. Auch die Möglichkeit, Auszüge zu drucken und das Buch auf einen USB-Stick zu kopieren, bestand. Dagegen klagte der Eugen Ulmer Verlag, der die Rechte an dem betroffenen Buch besaß.
Urteil: Eingeschränkte digitale Nutzung zulässig
Der EuGH hat jetzt entschieden, dass öffentliche Bibliotheken die Befugnis besitzen, „die Werke aus ihrem Bestand den Nutzern zu Zwecken der Forschung und privater Studien auf eigens hierfür eingerichteten Terminals zugänglich [zu] machen“. Das Vervielfältigungsrecht des Urhebers werde dadurch nicht verletzt.
Das Recht zur Digitalisierung beinhaltet nach Ansicht der obersten europäischen Richter jedoch nicht, dass auch einzelne Mitglieder der Öffentlichkeit – sprich die Besucher der Bibliothek – Kopien von Büchern anfertigen können. Das Ausdrucken oder Speichern auf USB-Sticks müsse deshalb durch die Bibliotheken verhindert werden. Sollte es weiter erlaubt bleiben, müsse dafür gesorgt werden, dass Autor und Verlag eine angemessene Vergütung bekommen.
Fehlender Mehrwert von digitalisierten Büchern
Für Autoren und ggf. deren Verleger dürfte das Urteil auf den ersten Blick erschreckend sein, denn: Bibliotheken müssen sich nicht an die Verlage wenden, um eine Erlaubnis zur Digitalisierung eines Buches einzuholen. Selbst entsprechende, bereits existierende eBook-Angebote des Verlags müssen nicht in Anspruch genommen werden.
Doch nun kommt das große „aber“, das wieder ein wenig beruhigt: Sind Druck und Kopie und damit das Markieren von Textpassagen, das Einfügen von Anmerkungen und sonstige Bearbeitungen nicht möglich, ist der Mehrwert des Lesens am Bildschirm – vor allem für Studenten – gleich null. Einen Mehrwert gegenüber der Lektüre eines gedruckten Buches hat die digitalisierte Version dann nämlich nicht. Denkbar ist deshalb auch, dass Bibliotheken gleich auf eine Digitalisierung verzichten. Aber auch die Entwicklung von kostenpflichtigen Nutzungsangeboten wäre möglich.
Auch wenn ich selbst nicht gerade häufig lesend in Bibliotheken anzutreffen bin, bin ich dennoch gespannt, wie sich das Urteil auf die Rechtsprechung in Deutschland auswirken wird. Besonders die Frage, was denn unter einer angemessenen Vergütung für das Kopieren oder Ausdrucken einer Buchdatei zu verstehen ist, bleibt interessant. Was für Bibliotheken erlaubt ist, kann für den Medienschaffenden eine Rechtsverletzung bedeuten. Fremde Inhalte zu nutzen, ohne entsprechenden Rechte daran zu besitzen, kann schnell teuer werden. Daher sollten diese in einer guten Berufshaftpflichtversicherung für versehentliche Fehler mitversichert sein.
Weiterführende Informationen:
- Gedanken übers Geldverdienen im Internet und die Zukunft des Journalismus – Interview mit Karsten Lohmeyer
- Was macht eigentlich ein Berater von Sachbuchautoren? – Interview mit Oliver Gorus
- „Zu dir, oder zu mir?“: Wenn die Verwendung geschützter Werktitel unangenehme rechtliche Konsequenzen haben kann